Über den Autor

Istabrak Dörsam

Abteilung für zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffwissenschaften
Welschonnenstr. 17
53111 Bonn
Germany
022828722491
istabrak.doersam@uni-bonn.de

Vita

1997–2002        Studium der Zahnmedizin

2005–2008        Master-Studium „Biomedical Engineering“, Fachhochschule Aachen

2008 –2011      Promotion zum Dr. rer. nat., Universität Bonn

2012–2014       Promotion zum Dr.med.dent., Universitätsklinikum Bonn

2016– 2017     Curriculum „Ästhetische Zahnmedizin“ bei der Akademie Praxis und Wissenschaft (APW)

2017               Habilitation an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn

2018               Spezialistin für Prothetik der DGPro

2019-2024     „Visiting Professor“ an der School/Hospital of Stomatology Southwest Medical University, Luzhou, China

2014-heute    Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung für zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffwissenschaften, Universitätsklinikum Bonn 

Co-Autoren

Istabrak Dörsam, Tabea Winter, Christoph Bourauel, Helmut Stark, Ludger Keilig

Biomechanische Untersuchungen verschiedener Augmentationsverfahren in der Maxilla zur Implantatverankerung

Thema

Ziele

Neben der Abnahme der Knochenhöhe des Oberkiefers erfolgt bei der Alveolarfortsatzatrophie auch eine Abnahme der Knochenqualität. Dies stellt eine zusätzliche Herausforderung bei der prothetischen Versorgung der Patienten mit Implantaten dar. Hinzu kommt, dass Implantate im lateralen Kiefer den höchsten Kaukräften in der Mundhöhle ausgesetzt sind. Dem Operateur eröffnen sich die Therapieoptionen des Einsatzes von längenreduzierten Implantaten und der Knochenaugmentation.

Das Ziel dieser Studie war, das biomechanische Verhalten eines im Oberkiefer inserierten Implantats in verschiedenen Positionen mit verschiedene Knochenhöhen, Operationsregionen, Augmentationsverfahren (interner und externer Sinuslift) und Implantatlängen bei axialer Belastung numerisch zu analysieren.

 

Material und Methode

Für die Beantwortung der zugrundeliegenden Fragestellung wurden zwei unterschiedliche Modellierungsansätze verwendet. Zum einen wurde in einem klinischen Patientenmodell an einem Inserationsort Implantate in zwei unterschiedlichen Längen eingesetzt, zum anderen wurde in einem angepassten Modell Kiefersegmente mit unterschiedlicher Restknochenhöhe (RKH) mittels verschiedener Sinuslift-Techniken auf 10 mm augmentiert und dann mit einem Implantat der Länge 9 mm versorgt.

Für die Erstellung der numerischen Modelle wurde eine digitale Volumentomographie eines teilbezahnten Oberkiefers mit fortgeschrittener Alveolarfortsatzatrophie im Seitenzahnbereich verwendet. Ausgehend von diesem Modell wurden insgesamt sechs Modellen mit der Software Mimics Innovation Suite (Materialise, Belgien) erstellt (siehe Tab. 1): Im den ersten beiden klinischen Modellen wurde die unmodifizierte klinische Situation in Regio 014 mit einem Implantat der Länge 9 mm (entsprechend des dazugehörigen Patientenfalls) beziehungsweise 7 mm versorgt (Abb. 1a,b), während in den angepassten Modellen 3-6 die Knochenhöhe im Bereich des sinus maxillaris von 2 bis 10 mm variiert und mittels verschiedener Sinuslift-Techniken auf 10 mm Knochenhöhe augmentiert wurde (Abb. 1c). Bei den angepassten Modellen wurden nur Implantate der Länge 9 mm verwendet.

Abhängig von der Restknochenhöhe in der Implantationsregion wurden mithilfe des Finite-Elemente-Programms „MSC.Marc/Mentat“ (Santa Ana, Kalifornien, USA) ein operativer Sinuslift (interner oder externer) und/oder eine Knochenaugmentation modelliert und die enossalen Implantate inseriert. Die Materialeigenschaften der Bestandteile aller Modelle sind in Tabelle 2 zu finden. Die Implantate wurden axial mit 500 N auf Höhe der Implantatschulter belastet (Abb. 2). Bei allen Simulationen wurde angenommen, dass die Osseointegration vor Belastung erfolgreich abgeschlossen war. Zusätzlich wurde in der einer Situation ohne Sinuslift (Modell 6) eine Sofortbelastung mit gleitendem Kontakt zwischen Implantat und Knochen simuliert.

 

Ergebnisse

Die berechneten Spannungen und ihre Verteilung ist in Abb. 3 dargestellt. Die gewonnenen Ergebnisse zeigten, dass bei einer Krafteinleitung von 500 N in den Knochen dieser in allen Situationen im pathologischen Maß überbelastet wurde. Die Spannungen betrugen zwischen 98 MPa (angepasstes Modell mit 8 mm RKH) und 356 MPa (angepasstes Modell mit 2 mm RKH).

Bei den klinischen Modellen belasteten das Implantat mit 7 mm Länge darüber hinaus den Knochen aus biomechanischer Sicht stärker als das Implantat mit 9 mm Länge in der gleichen Operationsregion in Kombination mit einer internen Sinusbodenelevation. Die Spannungen im kortikalen Knochen betrugen beispielsweise in dem klinischen Modell 1 nach Implantatbelastung des 9 mm langen Implantats 117 MPa. Bei Verwendung des 7 mm langen Implantats wurden Spannungen bis 172 MPa festgestellt. Dies hebt die Bedeutung eines vorsichtigen Einsatzes von Kurzimplantaten bei unter Bruxismus leidenden Patienten hervor. Eine zweizeitige Vorgehensweise im Rahmen einer umfangreichen internen und lateralen Sinusbodenelevation ermöglicht eine Reduktion der Spannungswerte im umgebenden Knochen und bietet den Vorteil, eine optimale Implantatpositionierung im Folgeeingriff erreichen zu können.

In den vorliegenden Situationen waren die auftretenden Verzerrungen im spongiösen Knochen und in der Schneiderschen Membran im klinischen Modell und im Modell mit einem RKH von 2 mm deutlich über den Werten, die in den übrigen idealisierten Modellen registriert wurden (Abb. 4). Die geringsten Verzerrungen in der Spongiosa zeigten sich nach einem internen Sinuslift ohne Einbringen von Augmentationsmaterial in der Region 014 und einer gewählten Implantatlänge von 9 mm (8.566 μstrain).

Die Sofortbelastung eines Implantats erhöht die Belastung der periimplantären Gewebe im Vergleich zu einer verzögerten Implantatbelastung nach Osseointegration deutlich und sollte, soweit möglich, im Oberkiefer und besonders bei Bruxismus-Patienten vermieden werden, um eine komplikationslose Einheilung des Implantats gewährleisten zu können (Abb. 5).

 

Diskussion

Klinisch sollte die Auswirkung einer Implantatbelastung auf eine benachbarte Alveole berücksichtigt werden. Sie kann durch die hohen Spannungs- und Verzerrungswerte im Knochen durchaus negativ im Heilungsprozess beeinflusst werden.

Die RKH und die maximal messbaren Spannungen in der Kortikalis verhalten sich hingegen nicht stringent umgekehrt proportional zueinander. Allerdings konnten höhere Maximalspannungen in den idealisierten Modellen mit einer RKH von 2 mm und 4 mm im Vergleich zu den Modellen mit einer RKH von 8 mm und 10 mm gemessen werden. Bei den Maximalwerten der Verzerrung im spongiösen Knochen zeichnet sich kein eindeutiges Muster ab.

Bei Unterscheidung der Belastungssituationen ohne das zusätzliche Einbringen von Augmentationsmaterial im Rahmen eines internen Sinuslift von den Situationen mit Einbringen von Augmentationsmaterial bei gleichzeitig erfolgreicher Osseointegration des Implantats zeigt sich, dass abhängig vom Volumen des Materials zwischen Schneiderscher Membran und Kieferhöhlenboden die Verzerrungen unterschiedlich hoch ausfallen. Während die Verzerrungswerte in dem „neu gebildeten“ Knochen der klinischen Modelle und dem idealisierten Modell mit einer Alveolarfortsatzhöhe von 8 mm bei bis zu 10.870 µstrain liegen, erreichen sie in den idealisierten Modellen mit den Restknochenhöhen von 2 mm Werte von 24.120 µstrain.

Der Vergleich zwischen der biomechanischen Belastung der beteiligten Strukturen nach internem und lateralem Sinuslift zeigt einige Auffälligkeiten. Die Spannungswerte im kortikalen Knochen des Modells mit einer RKH von 2 mm liegen im Schnitt dreimal höher als in den Modellen mit einer RKH von 4 mm. Ebenso verhält es sich bei Betrachtung der Verzerrungswerte in der Spongiosa (im Schnitt um das zwei- bis 2,5-fache erhöht). Die maximale Implantatverschiebung des Modells nach lateraler SBE reiht sich hingehen linear in die Werte der Modelle nach internem Sinuslift ein.

Auffällig sind zudem die, wie oben bereits angesprochen, ungleichmäßigen Verteilungen der Verschiebungen im Modell. Dies lässt sich durch die Angulation und schrägere Belastung des Implantats im Verhältnis zum umgebenden Knochen erklären.

Dadurch, dass das eingebrachte Augmentationsmaterial zudem keine einheitliche Dicke besitzt, treten in diesem ebenfalls ungleichmäßigere Verzerrungen auf als im Augmentationsmaterial der Modelle nach interner SBE.

Die Erstellung der klinischen Modelle ermöglicht den direkten Vergleich zwischen der Belastungssituation eines 7 mm langen und eines 9 mm langen Implantats bei gleicher RKH. Dabei zeigen die kurzen Implantate in allen betrachteten Parametern höhere Werte als die längeren Implantate. Die bereits angesprochenen, auffällig hohen Werte und deren besondere Verteilung in den Modellen der klinischen Modellen verdeutlichen, wie wichtig eine gleichmäßige, qualitativ hochwertige, das Implantat umgebende Knochenschicht für das Vermeiden von Spannungs- und Verzerrungsspitzen ist. Dabei scheinen die Umstände kürzeres Implantat und benachbarte leere Alveole in dem klinischen Modell dieser Kieferhälfte gemeinsam eine deutliche Zunahme der Verschiebungs-, Spannungs- und Verzerrungswerte zu bewirken.

Allen Modellen gemein ist, dass die größten Verzerrungen in der Nähe der Implantat­bohrung und/oder in den breiten Gewindeschnitten der Implantat-Bohrung auftraten. Die idealisierten Modelle weisen jedoch deutlich gleichmäßigere Verteilungen der Verzerrungen in der Implantatbohrung auf, als die klinischen Modelle. Dies mag an der im Vergleich zum umgebenden Knochen angulierten Position der Implantate in den klinischen Modellen und der demnach schrägeren Krafteinleitung in den Knochen liegen. Diese Erkenntnisse zeigen, dass die Implantatgeometrie einen großen Einfluss auf das biomechanische Verhalten des Implantats hat.

 

Zusammenfassung:

Die Ergebnisse zu den biomechanischen Eigenschaften dentaler Implantate, die mithilfe der Finite-Elemente-Analyse gewonnen wurden, zeigen, dass die Knochenquantität und die Implantatlänge großen Einfluss auf das biomechanische Verhalten eines Implantats und die Belastung der periimplantären Gewebe haben. Dabei trägt die Finite-Elemente-Analyse zum Verständnis des Implantatverhaltens in der klinischen Anwendung bei.